Utopia: Warum der Klimaschutz auch in Unternehmen nicht länger warten kann
Eins wurde am Donnerstagabend im Hörsaal des TUM-Campus deutlich: beim Thema Klimaschutz muss mehr getan werden. „Eigentlich können wir das, was wir die vergangenen 1 000 Jahre gelernt haben, beiseite legen“, sagt Wiebke Merbeth bei ihrem Vortrag im Rahmen von Utopia. Allein in den letzten 1 000 Tagen habe sich so viel getan, dass wir uns jetzt verändern müssen. „Wir sind auf dem richtigen Weg, aber viel zu langsam“, macht auch Prof. Dr. Sebastian Goerg klar. Wie man den Prozess beschleunigen könnte? „Mit ganz viel Schmerz.“
„Wir haben es uns viel zu lange, viel zu schön gemacht“, sagt Wiebke Merbeth. Sie ist Expertin für die Implementierung von Nachhaltigkeitsansätzen auf Investment- und Unternehmensebene. Goerg leitet die Professur Economics am Campus für Biotechnologie und Nachhaltigkeit. Die Welt zu retten, ist teuer. Eine Tatsache, die die beiden Experten nicht runterspielen, sondern hervorheben: „Wenn wir diese Kosten jetzt nicht auf uns nehmen, wird es in Zukunft noch teurer.“
„Die aktuelle Klimapolitik ist nicht ausreichend“
Corona-Krise, Energie-Krise, Inflation – „Diese Probleme sind da, weil wir nicht früh genug auf die Nachhaltigkeitsschiene umgestiegen sind“, erklärt Wiebke Merbeth. Es müsse stärker über Herstellung und Distribution nachgedacht werden. Als große Chance sehen die beiden Experten dabei das Konzept der zirkulären Wirtschaft. „Wenn wir es richtig verstehen, dann ist das ein Momentum, mit dem wir mehr Geld verdienen können, dann ist das ein Wirtschaftstreiber und ein Feld, mit dem man wieder neue Arbeitsplätze schafft“, erklärt Wiebke Merbeth.
Sekundärrohstoffe spielen eine große Rolle. Wie teuer ist beispielsweise Stahl, das immer wieder verwertet wird und wie teuer ist Plastik, wenn es immer wieder neu hergestellt werden muss? Dabei müsse alles, was draußen passiert, im Preis mitabgebildet werden. Neue Rohstoffprodukte werden dann so teuer, dass die Attraktivität, sekundäre Rohstoffe zu nutzen, noch attraktiver wird. „Und das ist die größte Chance, die wir im aktuellen schwierigen politischen Umfeld haben“, so Wiebke Merbeth. Denn bei den aktuellen Energiepreisen lohnen sich Investments in regenerative Energien, in Recycling und neue Softwarelösungen. „Wir müssen jetzt anfangen.“
„Wir sind auf dem richtigen Weg, aber viel zu langsam. Die Realität ist, dass die aktuelle Klimapolitik nicht ausreichend ist“, mahnt Goerg. Warum ein Preis auf CO2? „Wenn ich eine Tonne CO2in die Luft schieße, muss ich es bezahlen. Denn ich bereite mit meiner Marktaktivität anderen Schaden und das wirkt sich bisher nicht im Preis aus. Das sind volkswirtschaftliche Schäden.“ Beim CO2-Preis werden diese Kosten mitberücksichtigt. Vor allem bei langfristigen Investitionen wird dieser Preis sehr viel teurer werden. Der Lenkungsgedanke steht bei dieser Debatte im Vordergrund.
Ein weiteres Problem sei die sinkende Zustimmung der Leute für eine ambitioniertere europäische Klimapolitik. Bei einer Umfrage von Goerg, wie Deutschland zum Green Deal steht, wird das deutlich. 15 000 wurden dafür befragt.
„Persönliche Faktoren spielen dabei eine Rolle, genauso wie Geduld. Corona-Geschädigte zeigen weniger Unterstützung für den Green Deal als etwa Regionen der Flutkatastrophe, deren Support signifikant höher ist. Gruppen, die darunter leiden, verstehen sehr schnell, dass das existenzielle Kosten werden.“
Bei der von Sonja Ettengruber moderierten Diskussion wird klar, dass die Experten beim Publikum einen Nerv treffen. Zahlreiche Frauen und Männer, jung und alt, sitzen aufrecht auf ihren Plätzen und hören konzentriert zu, stellen kritische Fragen, nicken zustimmend oder schütteln ungläubig den Kopf.
Nach und nach kommt wieder an die Oberfläche, was all die Schocknachrichten der vergangenen zwei Jahre im Unterbewusstsein hat schlummern lassen. „Wenn wir das Thema Klima wieder aufschieben, haben wir bald den nächsten Jahrtausendsommer und das nächste Jahrtausendhochwasser“, macht Wiebke Mehrbert deutlich.-mke-